Bevor ich Sie dann im 2. Teil der Lesung in Urlaubstage mitnehme,
hören wir wieder das vorjährige
kleine Harfen-Zwischenspiel
Wo die Philosophie aufhört
muss die Poesie anfangen
Dieser Gedanke ist für den
Literaturwissenschaftler Li Jiang der Schlüssel
zu Gottfried Benns Gedichten. Er wählte ihn zum Titel
seiner Dissertation 2003 in Berlin,
Wo die Philosophie aufhört
muss die Poesie anfangen
Die Poesie am Ende
des Wissens, Denkens, Forschens?
Meint er das?
Das Erahnen - Ertasten einer
anderen Wirklichkeit?
Die Welt der Poesie - der Religion,
der andere Blick auf das Leben?
Der Flügel Poesie
ein Kopf zu erkennen das Ziel
zwei Füße zu durchforsten
die Weite der Welt
zwei Hände zu hüten das Heil
ein Herz aufzufangen
den Fluss der Dinge
ein Flügel Poesie
Unfassbares zu erfassen im Fliegen
Den Sommer
anwachsen lassen
über der Stirn
was brachliegt zum Blühen bringen in neuem Licht Vielleicht möchte ein einziges Wort auferstehen zum Leben
unter dem Himmel
dem einzigen
Fortgehen
wenn das Festland
dich schnürt
aufbrechen
mit der Brandung
neu ankommen
fesselfrei
Die Pause
Zeit zum Atemholen
im Versteck zum Verweilen
hinter dem umtriebigen Tag
ein Buch das mich bannt
eine Laube die lockt
eine Rose zum Reden
ein Bild das mir Brücken baut
zu anderen Ufern
leichtfüßig weiter zu wandern
auszumachen was bleibt
Unterwegs sein
das ist es doch
per pedes per Rad
per Bahn per Flugzeug
per Kopf in ferne Zonen
zu finden was unauffindbar
jenseits der Grenzen
deiner selbst
Auf Reisen
trabt der Kopf dir
davon ins Blaue
die Luft zu füllen
mit Schwärmen
losgelöster Gedanken
erst am Ziel
sammelst du ihn wieder ein
holst Gedankenschwärme
heim ins Netz
So viel Spannung
hinter der Stirn
wie viel Volt
hält dich wach
zum Weitergehen
Mein Reisetag
eingetaucht in Sonne
in den Taschen
mein Trödel
Tagschmuck
und Nachtkleid
für unterwegs
Eine Insel
entdecken
die dir großmütig
den Himmel freigibt
Meine Insel
Fixpunkt im Meer
auch Menschen
können Insel sein
ein Gesicht
ein Haus
ein Raum
ein Garten
Du
Immer neu
ankommen
und wieder aufbrechen
Fußwege
an Stränden entlang
Pulsschläge
im Gleichtakt mit Wellen
Schaumträume
die im Sand zerrinnen
Es ist gut
barfuß zu gehen
sich fußfest
einzudrücken
in die ziehende Zeit
Sand zu spüren
zwischen den Zehen
Sand zu bewegen
im Wettlauf
mit wütigen Winden
Am Abend
wir wollten
den Mond einfangen
Du und ich
ihn zwischen die Zweige
unserer Tanne setzen
wo er weilte im Jahr zuvor
so sehr wir uns mühten
er ließ sich nicht
rückwärts rücken
auf den Platz
vergangener Tage
Gegenüber
auf dem Flachdach
liegt wieder wie eine Kugel
der Mond
du möchtest ihn anstoßen
mit mir das Mondspiel spielen
nach einem Tag voll Sonne
doch du weißt
ungreifbar ist Glück
Wenn die Insel
Anker wirft zur Nacht
wenn die Konturen schwinden
letzte Schimmer ins
Schilfgras fallen
Häuser verschwimmen
zu Lichtpunkten
Steine aufleuchten
wie von Zauberhand
wenn der Himmel im Schwarz
einen Sternteppich knüpft
rund um die Insel
wird es märchenhaft am Meer
wird dein Blick geschärft
für die Traumhälfte
des Seins
Nie endet
der Schöpfungstag
stumm das Meer
groß und gelassen
Mutter aller Flüsse
fortdrängender Fragen
nie endet der Schöpfungstag
wo Ende scheint
wird Neubeginn
wo Nebel fallen
da fallen Tränen
ins Meer
Im Strandkorb
dieser Schlaf
wie ein Schlaf
in der Wiege
des Glücks
dieses Erwachen
wie ein Erwachen
zur Welt
wie ein Anbeginn
Am Meer
dem Gedicht
eine Heimat geben
wo es wächst
aus dem Wasser
zu Ufern schlägt
mit spritzigem Schaum
mit Schwänen Bahnen zieht
auf schwankendem Grund
Zaungast
mit silbernen Bändern
schmückt sich das Meer
mir scheint es feiert
ein Fest mit der Sonne
mag sein
es feiert sich selbst
sein Geheimnis
die Dauer
verloren als Zaungast
steh ich am Ufer
Wolkenzüge
Wie sie fortziehen
windgetrieben
weiß und dunkel
einzeln und in Formationen
Bilder zu werfen
an das Gewölbe des Himmels
sich spurenlos aufzulösen
im sprachlosen All
Menschenzüge
wie sie fortziehen
windgetrieben
dunkel und hell
einzeln und in Massen
Bilder zu werfen
auf das Rund der Erde
sich spurentief einzumischen
in den Fortgang der Welt
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